Global denken, lokal handeln – jetzt wird vielleicht ein Geldschein für das Phrasenschwein fällig, aber bei der internationalen Vergabe entfaltet der Ansatz eine gehörige Kraft.
Globale Vergabeprojekte sind immer ein Hingucker. Die Vorgabe aus dem Top-Management geht mit vielerlei Wünschen einher. Vereinfachung, leichtere Handhabung, Kostensenkung u.v.a.m. Global zu vergeben heißt vor allem, dass man Steuerungsleistung bei einem Dienstleister einkauft, denn den Dienstleister, der global flächendeckend alles in Eigenleistung macht, gibt es nicht. Bei der Nachunternehmervergabe hakt es auch national schon oft. Wie sorgt man also dafür, dass man bekannte Probleme nicht einfach nur hochpotenziert? Dazu ein Gespräch mit Christopher Böhmer, Einkäufer für Europa bei UPS.
Sie haben sich bei UPS für die globale Vergabe der Facility Services an einen Partner entschieden. Wie haben Sie das angefangen?
Christopher Böhmer: Weltweit haben wir über 3200 Betriebsstätten. Angefangen haben wir hier in Deutschland mit einem Piloten in drei Niederlassungen. Für diese drei Standorte haben wir zuerst einmal eine belastbare Datengrundlage geschaffen. Hier wissen wir jetzt also exakt, was wann getan wird, wo wie viele Stunden für welche Leistung anfallen, was der jeweilige Stundensatz ist, wie viele Reparaturen an Toiletten oder Elektrik oder was auch immer anfallen. Also wirklich jedes Detail, das in diesen drei Niederlassungen an Service abläuft.
Das hat drei Monate gedauert. Der Aufwand war enorm, aber so gibt es eine verlässliche Grundlage, um hochzurechnen. Das war unsere Bottom-up-Arbeit.
Für tausende Niederlassungen weltweit oder auch nur die knapp 500 Niederlassungen in Europa, wären wir mit dem Verfahren sicher nicht in einem akzeptablen Zeitrahmen und mit einem akzeptablen Mitarbeiterstab zum Ziel gekommen. Aber wir wissen, was wir generell pro Niederlassung für die Reinigung ausgeben, für die Reparatur von Dächern, für das Schneeräumen oder das Rasenmähen. All das wissen wir und haben es kombiniert mit den Detailkenntnissen aus den drei Pilotstandorten.
Das ist eine gute Grundlage, um mit einem Lieferanten über Standorte, Gebäude, Leistungen und Pricing zu sprechen.
Woher kommt der Wunsch nach einem globalen Dienstleistungspartner?
Christopher Böhmer: Das ist schon der amerikanische Ansatz, der uns als amerikanisches Unternehmen natürlich prägt. Da macht man immer alles global. Global heißt bei uns allerdings 90% USA und 10 % international. Man ist in den USA schnell dabei etwas „global“ zu nennen und meint damit aber „USA und das bisschen Rest“.
Wir haben in den USA weit über 2600 Gebäude. In ganz Europa sind es nur 450 Gebäude. Die Gebäude in den USA sind in der Regel um ein vielfaches größer als die, die wir in Europa haben. In den USA sind wir ganz klar der dominierende Logistikpartner für die meisten Märkte, hier in Europa haben wir stärkere Konkurrenz.
Bei der Vergabe an einen einzigen internationalen Servicedienstleister haben wir in Europa unseren Piloten gestartet. Ursprünglich wollten wir in einem Jahr Deutschland nach dieser Vorgehensweise machen und im Jahr danach dann alle anderen europäischen Länder hinzunehmen. Aber dann wurden wir von Umstrukturierungen im Unternehmen zeitlich stark getrieben. Wir haben die Finanzprozesse so umgestellt, sodass eine Einzelvergabe sehr aufwendig wurde, um sich einen Lieferanten zu suchen. Ein Generalunternehmer macht für uns in vielerlei Hinsicht viel mehr Sinn. Das sollte allerdings innerhalb von sechs bis neun Monaten umgesetzt werden. Letztendlich hat es jetzt ein bisschen länger gedauert.
Wie sind sie bei der aktuellen Vergabe vorgegangen?
Christopher Böhmer: Das war ein kompletter Top-down-Ansatz. Für die Ausschreibung weltweit haben wir unser gesamtes Budget auf den Markt geworfen und gesagt, was da ungefähr drin ist. Die feinste Unterscheidung dabei ging nicht tiefer als auf Länderebene und mit dem Betrachtungszeitraum eines Jahres. Die Ausschreibung enthielt einen Überblick, welche Dienstleistungen pro Jahr in diesen Ländern erfolgen sollten. Kein weiterer Zeitsplit, keine Aufgliederung nach Regionen.
Wir hatten – das hat mich tatsächlich ein bisschen überrascht – eine sehr gute Resonanz auf dem Markt. Fast alle großen Unternehmen haben sich an dieser Ausschreibung beteiligt und Angebote geschickt.
Letztendlich ist es dann ein globaler Anbieter geworden, der uns eine jährliche Einsparung garantiert hat.
Haben Sie das früher auch schon so gemacht?
Christopher Böhmer: Das ist nicht nur weltweit das erste Mal, sondern das erste Mal dass wir das generell so machen. Bisher haben wir mit ein paar Ausnahmen für wenige Niederlassungen in Europa vorher niederlassungsspezifisch Facility Services Firmen beauftragt. In Osteuropa gab es vereinzelt Bündel von bis zu zehn Niederlassungen, aber das war immer eher die Ausnahme. In vielen Gebäuden sind wir sowieso Mieter, sodass der Landlord, der Vermieter, dann entsprechende Service-Unternehmen vorhält.
Bei der jetzigen Ausschreibung war das Verfahren weltweit einheitlich. Wir haben ein globalen Master Services Agreement, den MSA, für alle Gebäude abgeschlossen, der rechtlich ein US-basierter Vertrag ist. Danach sind wir in die Spezifizierung gegangen und erst da wird der Top-down-Ansatz mit dem Bottom-up-Ansatz verheiratet. Das ist das, was in der Nacharbeit nach der eigentlichen Vergabe mit dem Dienstleister jetzt erfolgt.
Das gängige Argument ist, dass in Deutschland die Betreiberverantwortung anders geregelt ist als in den USA und das deswegen Deutschland gerne Bottom-up-Ansätze fährt und die USA lieber Top-down. Aber letzten Endes haben aber doch auch Amerikaner den Anspruch, dass sie die Leistungen, die Sie bezahlen, auch bekommen, oder?
Christopher Böhmer: Ja, sicher. In unserem europäischen System muss ich aber immer die Fehlerfälle regeln, indem ich ihn zum Beispiel von vornherein haftungstechnisch ausschließe. In den USA muss ich nicht nachweisen, dass ich versucht habe, eine fehlerhafte Reparatur zu verhindern. Ich kann hier die Verantwortung vollständig auf den Ausführenden übertragen und im Schadensfall über ihn auch abwickeln – es gilt hier also ein reines Verursacherprinzip.
Das reicht hier aber nicht. Ich bin verantwortlich, bis ich nachgewiesen habe, dass ich dafür gesorgt habe, dass eine Arbeit ordnungsgemäß ausgeführt worden ist.
In Europa ist die Verantwortung anders geregelt und sie ist beim Auftraggeber auch schlichtweg größer, was die Umsetzung angeht, also wie wir kontrollieren, reporten und steuern.
In den USA haben wir ein großes Unternehmen in einem einheitlichen Rechtsraum. In Europa sind rechtliche und steuerliche Regelungen in jedem Land unterschiedlich. Hinzu kommt, dass wir uns als UPS zum Teil in bis zu fünf Unternehmen pro Land aufgliedern, die dann aber wieder in einem einzigen Gebäude sitzen. Steuerrechtlich müssen wir unterscheiden, welches Unternehmen welche Rechnung innerhalb dieses Gebäudes bezahlt. Mit diesen ganzen Herausforderungen kommen wir um den Bottom-up-Ansatz gar nicht herum.
Wie läuft es denn jetzt gerade?
Christopher Böhmer: Die Herausforderung der Verheiratung von Top-down und Bottom-up ist gerade wirklich groß. Top-down heißt finanztechnische Analyse, Bottom-up heißt Workflow-Analyse. Ich habe also keine direkte Verbindung zwischen den beiden Ansätzen. Da prallen die zwei konzeptionelle Ansätze aufeinander und momentan läuft es noch nicht ganz zufriedenstellend.
Wir steuern ja nicht die Kosten, die eine Arbeitsstunde Reinigung im Headquarter in Brüssel auf der dritten Etage erzeugt hat, sondern begutachten, wie die Arbeit dort ausgeführt worden ist und dass sie den gleichen Service Level erreicht wie früher. Die Kostenkontrolle erfolgt dann wieder auf einer deutlich höheren und konsolidierten Ebene. Für den Dienstleister ergibt sich hier Handlungsspielraum für Einsparungen, die er uns global garantiert. Für uns entsteht aber Kostentransparenz und eine schlanke Administration während wir volle Kontrolle der lokalen Dienstleistung behalten, also Steurungsfähigkeit, und signifikante Einsparungen auf Konzernebene erzielen.
Sie haben mit der globalen Vergabe vor allem Steuerungsleistung eingekauft, denn die Serviceerbringung erfolgt zu einem sehr hohen Prozentsatz durch Nachunternehmer. Wie unterscheidet sich das vom bisherigen Einkauf von Services?
Christopher Böhmer: Früher hatten wir ausschließlich nur eine Ebene der Steuerung. Wir haben unseren Vertragspartnern direkt gesteuert, weil wir eine direkte Geschäftsbeziehung haben. Unser Dienstleister strebt 25% Eigenleistung an, momentan liegen wir noch unter 5%. Wir sind also derzeit bei über 95% Fremdvergabe. Bei über 95% der Leistungen haben wir eine Sub oder sogar eine Sub-Sub-Vergabe und keine Geschäftsbeziehung mit denjenigen, die in unserer Niederlassung Arbeiten ausführen.
Umso wichtiger ist es, die Auftraggeberrolle wirklich auszufüllen, um überhaupt an Hebel zu kommen mit denen wir steuern können. Das ist sicherlich einer der ganz schwierigen Punkte.
Wie ist Ihre Rolle als Einkäufer dabei? Oder muss das die Fachabteilung regeln?
Christopher Böhmer: Wir schreiben uns im Einkauf auf die Fahne, dass wir den ganzen Prozess mit implementieren. Wir speisen die Fachabteilung nicht einfach mit einem geschlossenen Vertrag ab. Zur normalen Einkäuferfunktion gehört das aber der reinen Lehre nach nicht. Das gehört schon zum Supplier-Management. Bei uns im Unternehmen enden die Geschäftsbeziehungen zwischen Einkauf und einem Lieferanten nicht mit dem Vertragsabschluss.
Wir halten über die Vertragslaufzeit permanent Kontakt, reden über die KPIs und führen eine Balanced Scorecard. Für den Moment habe ich jetzt allerdings täglich am Tisch nicht-gereinigte Büros oder verstopfte Toiletten in irgendeiner Niederlassung in Europa. Definitiv nicht meine Aufgabe, aber eine Sache die wir als Projektteam lösen müssen.
Die extrem enge Zusammenarbeit zwischen der Fachfunktion und der Procurementfunktion ist ein ganz wichtiger Schlüssel, sonst kann so ein Riesenprojekt nicht funktionieren.
Das war eine lange Entwicklung bei uns und zwar aus zwei Richtungen. Einerseits hat die Abschottung von Einkäufern aufgehört, die nur ganz bestimmte Sachen eingekauft haben. Und manche Fachfunktionen hatten ihre eigenen Einkäufer, die wir nun zum größten Teil bei uns integriert haben. Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit, weil wir die Verbindungen gut geschaffen haben, sodass nun die Fachfunktionsmerkmale und die Beschaffungskriterien bei einer Ausschreibung gut ausbalanciert sind.
Das Interview führte Katja Müller-Westing.